Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter-Tag II

Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter-Tag II

Organisatoren
Jochen Johrendt / Vera Eiteneuer, Bergische Universität, Wuppertal; Gerhard Lubich / Matthias Weber, Ruhr-Universität, Bochum
Ort
Wuppertal / Bochum (digital)
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.01.2022 -
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Von
Heinz-Jonah Gröning, Universität Wuppertal

Sechs Nachwuchswissenschaftler:innen stellten im Laufe des zweiten Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter-Tages Aspekte ihrer Forschungsarbeiten rund um das Hochmittelalter vor. Bei der Begrüßung lobte GERHARD LUBICH (Bochum) die Veranstaltung als erfolgreiches Forum des Austausches für Wissenschaftler:innen mit zeitlich similären Forschungsinteressen und JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) betonte die Durchdringung der Quellen des Hochmittelalters als Chance für viele methodisch innovative Vorgehensweisen.

Der erste Vortrag des Tages von THOMAS WITTKAMP (Oldenburg) behandelte auch in chronologischer Reihenfolge das früheste der sechs Themen des Tages, die Verwendung des Wortes Vassallus für karolingische Herrschersöhne. Das Lehnswesen als universelles Rechtssystem des Mittelalters wurde laut Wittkamp erst 1994 von Susan Reynolds infrage gestellt.1 Vor Reynolds Publikation sei das System Lehnswesen, das ein Konstrukt der späteren Forschung für eine einheitliche Vorstellung des mittelalterlichen Rechtssystems darstelle, auf das gesamte Mittelalter angewendet worden, auch wenn aus den Quellen gegenteilige Schlüsse zu ziehen gewesen wären. In den Quellen der Karolingerzeit sei die Bezeichnung Vassallus nur an zwei Stellen für einen karolingischen Herrschersohn zu finden: Im „Epitaphium Arsenii“ des Paschasius Radbertus und in Notkers „Gesta Karoli Magni“. Bei Radbert sei die Wahl dieses Begriffes nach Wittkamp als bewusste Provokation Ludwigs des Frommen an seine Söhne zu verstehen, die zu diesem Zeitpunkt bereits Mitkönige waren und als solche gegen ihn aufbegehrt hatten. Bei Notker sei der Begriff zwar nicht beleidigend zu begreifen, doch in beiden Fällen zeige er eine Hierarchie auf, die über eine Vater-Sohn-Beziehung hinausgehe. Wittkamp schlug vor, den oft behandelten Fall des Lehnseids Herzog Tassilos in dieser Perspektive neu zu betrachten.

ALICE DRAGAN (Bochum) referierte über Witwenheirat und damit verbundenes politisches Handeln im frühen 11. Jahrhundert. Zu besagter Zeit wurden Frauen laut Dragan bei der Eheschließung aus der Munt ihrer Väter in die ihrer Ehemänner übergeben und nach deren Ableben in die ihrer angeheiraten Familie. Über eine eventuelle Wiederverheiratung habe aber weiterhin die leibliche Familie der Witwe bestimmt. Anhand der Beispiele der drei Witwen Agnes von Burgund, Beatrix von Tuszien und Gisela von Schwaben aus dem lothringisch-burgundischen Großraum zeigte die Referentin, dass einige Frauen auf der Ebene des Königtums respektive knapp darunter eine große politische Eigenständigkeit aufwiesen. Dies äußere sich sowohl in einer aktiven Partizipation am politischen Geschehen an der Seite ihrer Ehegatten als auch in eigenständigen Verhandlungen über eine erneute Eheverbindung. Durch die Witwenheirat konnten sich neue politische Konstellationen ergeben, wie die Eheschließungen der betrachteten Frauen laut Dragan zeigen, bei denen Grenzen von Herrschaftsgebieten überschritten wurden, ohne den lothringisch-burgundischen Großraum zu verlassen. Witwen seien demnach ein häufig unterschätzter Faktor in der mittelalterlichen Heiratspolitik.

VERA EITENEUER (Wuppertal), Mitorganisatorin der Tagung, präsentierte einen Nebenaspekt ihres Dissertationsprojektes rund um die frühen Grafen von Berg, den Lehnshof des Kölner Erzbischofs in den Jahren von 1056 bis 1200. Das Forschungskonzept des Lehnshofs sei in der Form als Hof des Kölner Erzbischofs, dem alle Fürsten und Ministerialen angehören würden, die ein Lehen von ihm hielten, nicht mehr haltbar. Der Kölner Erzbischof sei für die Fürsten seines Umlandes in einer Zeit der Umbrüche von 1080 bis 1131 der einzige Garant für Stabilität und Kontinuität gewesen und der Großteil von ihnen habe tatsächlich erzbischöfliche Lehen gehalten, so Eiteneuer. Doch mit einem vom Erzbischof erhaltenen Beneficium, das auch Geistliche halten konnten, sei nicht zwingend eine Vasallität ihm gegenüber verbunden gewesen. Demnach seien nicht alle erzbischöfliche Lehnsträger automatisch Teil seines Lehnshofes gewesen, während dies für Ministeriale sogar ohne Belehnung zugetroffen habe, womit der Quellenbefund in den Rheinlanden die Erkenntnisse der neuen Forschung bezüglich des Lehnswesens bestätigt. Eiteneuer plädiert dafür, das Konzept des Lehnshofs der älteren Forschung nicht mehr anzuwenden und den Entscheidungsort für lehnsrechtliche Fragen sowie die Gefolgschaft des Erzbischofs in den Hof des Kölner Erzbischofs integriert zu verstehen, wie es aus den Quellen hervorgehe.

Die politische Partizipation von Ständeversammlungen im Königreich Sizilien in den Jahren 1266-1309 unter den frühen angiovinischen Königen stellte LISA DÜNCHEM (Trier) vor. Nach dem Tod Friedrichs II. und der Übergabe des sizilianischen Königreichs an Karl von Anjou habe dieser im Jahre 1267 die bereits von Friedrich II. etablierte curia generalis zurück ins Leben gerufen. Diese Institution, die unter Friedrich II. in der Zeit seiner Abwesenheit als Regierungsorgan fungiert habe, soll Dünchem zufolge unter Karl I. zweimal im Jahr unter Anwesenheit des Königs stattgefunden haben und sei letztendlich zu einer gesetzgebenden Ständeversammlung geworden. Innerhalb dieser feststehenden und regelmäßig stattfindenden Institution konnten die Stände sich von einer rein beratenden Funktion lösen und ihre eigenen Interessen durchsetzen. Wenngleich eine solche politische Partizipation der Stände von den angiovinischen Herrschern nicht intendiert gewesen sei, habe sie sich dennoch innerhalb dieser Ständeversammlungen entwickeln können.

AARON SCHWARZ (Wien) referierte über die Hochmeisterurkunden des Deutschen Ordens im 13. Jahrhundert. Die allgemeine Forschungslage zum letzten großen Orden aus der Zeit der Kreuzzüge sei ausgezeichnet, doch die Hochmeisterurkunden haben es noch zu keiner genauen Betrachtung geschafft. Der gesamte von Schwarz untersuchte Urkunden-Corpus der verschiedenen Hochmeister des Deutschen Ordens sei sehr heterogen und in seiner Überlieferungslage geographisch weit gestreut. Die Heterogenität der einzelnen Urkunden zeige sich sowohl in den äußeren als auch in den inneren Merkmalen der Urkunden. Diese Vielfalt sei nicht nur von Hochmeister zu Hochmeister, sondern auch bei den verschiedenen Urkunden der einzelnen Aussteller zu finden. Dabei seien bei den Urkunden des Deutschen Ordens, als Bindeglied zwischen Papsttum und spätstaufischem Kaisertum, immer wieder Gemeinsamkeiten zu den Urkunden dieser beiden Institutionen zu sehen. Die Annahme einer „Hochmeisterkanzlei“ lehnte Schwarz ab, Einfluss auf die Urkunden übten Ordenskapitel und Hochmeister bis auf die Ebene der Kommenden gleichermaßen aus.

Der letzte Referent des Tages, YANNICK PULTAR (Mainz), begab sich mit seinem Vortrag thematisch ins 14. Jahrhundert. Für diese Zeit führte er den Begriff des Brokers für einen Vermittler zwischen zwei Seiten ein, denen gegenüber er jeweils eigene Interessen vertrat. Als Beispiel für einen solchen Broker führte Pultar neben anderen vor allem Graf Berthold VII. von Henneberg-Schleusingen auf, der in mehreren Okkasionen für Ludwig den Bayern als Mittelsmann aufgetreten sei. Bertold VII. eher als Broker denn als Vermittler zu bezeichnen, sah Pultar darin begründet, dass der Graf nicht im Auftrag des Wittelsbachers, sondern aus eigener Initiative zwischen diesem und seinen Gegenseiten, wie unter anderem Friedrich dem Schönen, verhandelte. Dabei habe er gute Beziehungen zu beiden Seiten aufrechterhalten. Diese Mehrfachloyalität sei nicht negativ, sondern geradezu positiv aufgefasst worden und zeichne damit ein zentrales Merkmal für einen Broker aus.

Die Vorträge des zweiten Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter-Tages deckten sowohl thematisch als auch methodisch ein breites Spektrum ab und gewährten einen Einblick in die Arbeitsweisen und Forschungsinteressen der sechs Referent:innen.

Konferenzübersicht:

Gerhard Lubich (Bochum) / Jochen Johrendt (Wuppertal): Begrüßung

Thomas Wittkamp (Oldenburg): Mementote, inquit, et quod mei vassalli estis, mihique cum iuramento fidem firmastis! – Über Vasallität innerhalb der karolingischen Dynastie

Alice Dragan (Bochum): Agnes von Burgund, Beatrix von Tuszien und Gisela von Schwaben – Witwenheirat und politisches Handeln nach der Jahrtausendwende

Vera Eiteneuer (Wuppertal): Gruppenidentität am Lehnshof des Kölner Erzbischofs in den Jahren von 1056 bis 1200

Lisa Dünchem (Trier): Ein Schein von politischer Partizipation? Die Etablierung der curia generalis unter Friedrich II. im Königreich Sizilien und deren Weiterentwicklung durch die frühen angiovinischen Herrscher

Aaron Schwarz (Wien): Zwischen Kaiser und Papst: Die Hochmeisterurkunden des Deutschen Ordens im 13. Jahrhundert

Yannick Pultar (Mainz): Broker des Königs. Herrschaftsträger als Mittler, Informationsquelle und Kommunikatoren für Ludwig den Bayern

Anmerkung:
1 Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted, Oxford 1994.


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